Stufen der Beobachtung in Dialog mit Steinen 


Dasjenige, was sich bei jedem Dialog zwischen Stein und Mensch abspielt, versuche ich seit 2002 auf die Spur zu kommen. Ich lernte viele Menschen kennen, mit denen ich über das Stein-Erleben sprechen konnte. Ich testete persönlich viele Steine und untersuchte die Beobachtungen. Mir wurde immer deutlicher, dass individuelle Beobachtungen und Erlebnisse nie allgemein gültig sind. Deshalb rückte für mich der beobachtende Mensch in den Mittelpunkt der Untersuchung.

Was in Dialog mit Steinen spielt, ist nicht ursächlich vom Stein oder von der Substanz abhängig. Das Kausalitätsprinzip (Ursache – Wirkung, wenn…, dann…) ist hier nicht anwendbar. Die rätselvolle Beziehung "Mensch – Stein" ist nicht unlösbar, aber der Weg zur Lösung ist lange. 

In dieser Betrachtung beschreibe ich mögliche Stufen der Beobachtung. Sie stellt lediglich eine Orientierungshilfe dar, denn wer mit dieser Materie bekannt ist, weiss, dass man sich auf dieser Stufenleiter beständig auf und ab bewegt. Da gibt es auch Zwischenstufen oder schwer einzuordnende Erfahrungen, diese Liste wird aber als Verständigungsgrundlage dienlich sein. 


    

Erste Stufe: Sinnliches Wahrnehmen                                                                                                                        

Die physische Erscheinung der Steine ist für jeden Menschen durch seine Sinne beobachtbar. Die sinnlichen Wahrnehmungen vermitteln unzählige Einzelheiten und Eigenschaften. Mithilfe des Sehsinns erkenne ich Farben, erkenne ich helle und dunkle bis schwarze Stellen, ich kann beobachten, ob ein Stein durchscheinend oder undurchsichtig ist usw. Komme ich in Berührung mit einem Stein und beobachte ihn mit Hilfe des Tastsinns, so erfahre ich ob seine Oberfläche glatt oder rau ist. Mit dem Wärmesinn erfahre ich die Kühle des Steines usw. Unzählige Eigenschaften der Steine lerne ich so kennen.                           


Zweite Stufe: Veränderungen an der eigenen Leiblichkeit beobachten

Der Mensch kann an Steinen durchaus andere Beobachtungen machen.

Wenn ich an einen Urlaubsort komme, wo die Bodenbeschaffenheit anders ist als dort, wo ich gewohnt bin (z.B. Granit oder Kalk im Untergrund), werde ich ein anderes Lebensgefühl gewahr. Solche Erfahrungen sind nicht für jeden selbstverständlich, wir Menschen sind eben individuell sehr verschieden. Wer aber solche Erfahrungen macht, wird bestätigen, dass der Boden für ihn andere Lebensbedingungen schafft. Viele Menschen können die Ausstrahlung eines Steines (z.B. Bergkristall) an der eigenen Leibesorganisation 1) erfahren. Sie bezeichnen sie als ein Prickeln oder ein Kribbeln in der Hand. Nicht der Stein prickelt oder kribbelt. Der Stein bleibt, was er ist, so wie die Bodenbeschaffenheit ist was es ist, aber die Bedingungen für die Leibesorganisation ändern sich.

Wieviel wir von einem Stein erfahren hängt davon ab, wie wir organisiert sind. Es gibt Menschen, die bestimmte Sinneseindrücke erst gar nicht bemerken, obwohl sie die Möglichkeit der Wahrnehmung dazu haben. Andere erleben viel mehr als die blossen Sinne vermitteln. So ist das Stein-Erleben individuell verschieden. Man muss akzeptieren, dass Menschen unter bestimmten Bedingungen Erfahrungen machen, die andere nicht haben. Erfahrungen, die mit sensibelsten Messgeräten nicht gemessen werden können. Weder können elektromagnetische Wellen noch Strahlungen noch Schwingungen nachgewiesen werden und dennoch werden die Beobachtungen gemacht. Die Wissenschaft steht dem so verständnislos gegenüber, wie sie bis heute auch keine Möglichkeit gefunden hat, Meridiane (Leitbahnen) im Körper nachzuweisen, obwohl die Akupunktur nachweislich heilend wirken kann (wie ich es selbst erfahren habe).

Gewiss sind solche Beobachtungen mit einer besonderen Eigenaktivität verbunden. Prüfen Sie Ihre Eigenaktivität einmal sitzend vor dem Fernseher und vergleichen sie dieselbe Beobachtungstätigkeit, wenn Sie in die Natur oder in eine Ausstellung gehen, ich meine, wenn Sie Naturobjekte oder Kunstwerke anschauen. Wie gehen Sie da vor? Wie gehen Sie auf die Objekte zu? Sie schauen das Objekt von verschiedenen Seiten an, gehen mit dem Kopf etwas näher heran. Unsere Gestalt ist ständig in Bewegung, unser Kopf ist in Bewegung, unsere Augen bewegen sich: Lauter Eigenaktivität, willentliche Entscheidungskraft lenkt die Sinne. Was tun Sie beim Fernsehen? Sie glotzen, die eigene Gestalt, der Kopf, die Augen, alle sind in Ruhestellung.

[1] Ich verstehe unter Leibesorganisation nicht bloss den physischen Körper, sondern den Leib mit alle seinen wirksamen Kräften


Beispiel

Da sagten Bekannten zu mir, als sie ein Tigereisen berührten: "Dieser Stein pulsiert!" Ein anderer sagte: "Oh, der tut weh!" Wieder ein anderer: "Ich merke gar nichts." So individuell verschieden können diese Beobachtungen am selben Stein sein. "Pulsiert" ein Stein? "Tut ein Stein weh?" Tut das alles derselbe Stein? Es ist verständlich, dass die Bekannten dies so ausdrückten, aber dieser Stein tut das wirklich nicht, sondern wir tun etwas, wenn wir mit dem Stein in Berührung kommen.

Ich beschreibe die zweite Stufe so ausführlich, weil in unzähligen Büchern über Wirkungen von Steinen berichtet wird, aber das individuelle Erleben nicht thematisiert wird. Noch seltener wird der Akt der Beobachtung zum Gegenstand der Betrachtung gemacht. 


Beispiel

Bei einer Ausstellung nahm eine Besucherin diesen Marmor (Lukmanierpass, GR, CH) in die Hände. Sie stand verblüfft da und sagte, wie sie einen "Kraftstrom" verspürte, die durch ihren ganzen Körper hinunterfuhr, bis in die Beine, bis in die Füsse hinein. 

Ich könnte hier viele Beispiele anfügen. Ihre Charakteristik ist, das individuelle Erleben, das zunächst als "Wirkung von aussen" aufgefasst wird, die aber in Wahrheit ein "Individualisierungsprozess" ist, an dem jeder selbst beteiligt ist.



Die dritte Stufe der Beobachtung - Kraftorte


Amsoldingen bei Thun

Südwestlich von Thun befindet sich Amsoldingen. Hier steht auf einer Anhöhe eine alte romanische Kirche. Wer durch das Südportal eintritt, steht plötzlich oben auf einer Treppe, die in das Kirchenschiff hinunterführt.

Auf der rechten Seite dieser Treppe stieg ich nur zwei Stufen hinunter und blieb stehen. An dieser Stelle durchströmte mich ein beständiger Kraftstrom. Er stieg von unten aus der Erde empor, so ähnlich wie oben auf dem Gipfel eines Berges die Luftthermik aufsteigt, so fühlte ich mich hier durchströmt von einem unsichtbaren Strom.

Später, als ich die Kirche ein zweites Mal besuchte, stellte ich fest, dass es auch am Westeingang eine solche Stelle gibt.

Da stellt sich die Frage: Wie kann man diese Erfahrung in Worte fassen? Es kommt dem Erleben von Luft- oder Wasserströmungen nahe, nur dass sie ungehindert durch den ganzen Leib strömen. 

Auf der Abbildung oben rechts habe ich versucht, das Erleben mit einer Skizze zu visualisieren.


Sanchi, Buddhistischer Stupa in Indien

Im Jahr 2018 war ich in Sanchi und besuchte den buddhistischen Stupa aus dem 3. Jh. v. Chr. Dort wurde für mich das Erleben der ausströmenden Erdkräfte dieses Ortes entscheidend. Von diesem Augenblick an wusste ich, dass diese Erdkräfte schon immer hier waren und ich ging davon aus, dass dieser Ort schon in der Steinzeit ein besonderer Ort gewesen sein musste. Als ich das Bauwerk und die Tore dieses Heiligtums mit ihren reichen Reliefskulpturen intensiv betrachtete, suchte ich nach dem Kompositionsprinzip. Dabei fiel mir auf, dass die Anordnung der Reliefs am Südtor nicht stimmig war.

Als ich wieder zu Hause war, korrespondierte ich mit den zuständigen Behörden in Bhopal. Sie teilten mir mit, welche Bücher meine Fragen beantworten konnten. Ich recherchierte etwa drei Monate, bis ich mit Sicherheit bestätigt fand: Der Hügel von Sanchi, war schon in der Steinzeit ein Heiligtum. Das Tor an der Südseite war in Einzelteilen verfallen und wurde in den 1880er Jahren restauriert. Dabei wurden zwei Steinbalken seitenverkehrt eingebaut. Weitere Fragen wurden mir durch Informationen im Internet beantwortet. Ich habe die ganze Arbeit in einem Blog verarbeitet und veröffentlicht: https://sanchi-indien.webnode.page/

Wenn ich das entscheidende Erlebnis der Erdkräfte nicht gehabt hätte, hätte ich niemals mit so viel Ausdauer alle Fakten zusammengesucht. In diesem Erlebnis der Erdkräfte lag mehr umschlossen, als ich ahnte.



Eine Zwischenbemerkung

Wenn ein dauerhafter Körperbezug zum Stein gegeben war, erlebte ich Beobachtungen ganz anderer Art. Wenn ich den Stein in der Hosentasche trug, befand er sich im Hüftbereich meines Körpers. Sobald meine Hand in die Hosentasche glitt, berührte sie ihn und hatte ich eine Tastempfindung oder machte ich vielleicht eine Beobachtung der zweiten Stufe. Trug ich den Stein als Anhänger an einem Lederbändel um den Hals, dann war ich in ständiger Berührung mit ihm. Der Stein wurde Teil meines Körpers, so wie meine Brille, meine Armbanduhr oder mein Ring Teil meiner Körpergeographie wird. Vielleicht bemerkte ich ihn, als ich ihn umhing und er noch kalt war. Aber sobald meine Körperwärme durch ihn hindurchströmte, nahm ich ihn gar nicht mehr wahr. 

Ich möchte betonen, dass die direkte Berührung mit dem Körper (für mich am besten im oberen Drittel des Brustbeins, jeder soll das für sich ausprobieren), die günstigste Bedingung ergab. Hängt aber ein Anhänger an einem langen Bändel irgendwie über die Kleidung und baumelt über den Brustbereich, mag "äusserlich gut aussehen". Es fehlt dann aber den körperlichen Bezug und das Erleben wird erheblich reduziert.

In Relation zu Werkzeugen (Füller zum Schreiben, Hohleisen zum Schnitzen, Bleistift zum Zeichnen) wird bei der tätigen Arbeit das Werkzeug "Teil meines Körpers". Ist die Führung eines Werkzeuges mir geläufig, wird es zu einer Prothese. Mein Bewusstsein ist dann nicht länger beim Tasterlebnis oder mit der Haltung des Werkzeuges beschäftigt, sondern direkt mit der ausführenden Tätigkeit. Kann der Stein, den ich trage, auch zu einem "Werkzeug" werden und wenn ja, wie bemerke ich das? Ich sagte schon, es besteht ein ständiger Wärmefluss vom Körper durch den Stein in die Umgebung, die Wärme fliesst beständig hindurch, wie mein Blick durch meine Brille oder ein sonstiges Okular hindurchgeht.

Welche Erfahrungen mache ich auf diese Art mit Steinen?                                                                                                    Bildlich gesprochen wirkten sie so, wie wenn ich eigene, seelische Qualitäten durch ein Vergrösserungsglas beobachten kann. Bestimmte Qualitäten werden mir viel bewusster als sonst. Ich könnte auch sagen, der Stein wird zu einem Verstärker spezieller, seelischer Qualitäten.  

Was geschieht hier genau?

Jeder Mensch hat ganz bestimmte, rein individuelle Interessen. Er liebt vielleicht die Musik eines bestimmten Komponisten, er erfreut sich an Bildhauerwerke von Henry Moore oder in der Natur fällt ihm plötzlich diese oder jene Blume auf, seine Aufmerksamkeit ist offenbar individuell gerichtet. Wir gehen meistens etwas zu oberflächlich mit solchen Eindrücken um. Aber bei jedem Menschen sind die Eindrücke individuell. Die individuellen, seelischen Beobachtungen des Wohlbefindens, der Schönheit oder auch unangenehme Erlebnisse, möchte ich hier Individualisierungsvorgänge nennen. Wenn nun bei Anwesenheit eines Steines eine bestimmte "Saite" meines seelischen Instrumentes zu "Klingen" anfängt, dann nenne ich das eine Beobachtung der vierten Stufe.

Ich möchte betonen, dass ich mich durch einen Stein nie fremdbestimmt empfunden habe, im Gegenteil je mehr ich die Steine kennenlernte, umso besser lernte ich mich selbst verstehenEs hat keinen Sinn alle meine Stein-Erfahrungen hier aufzulisten, weil ich keinen Anspruch auf eine allgemeine Gültigkeit machen kann und es zudem meine persönlichen Erlebnisse sind. Mein Anliegen ist nicht ein Stein-Lexikon aufzubauen, sondern die Beobachtungsstufen zu untersuchen.

Hier folgen einige Beispiele für die vierte Stufe der Beobachtung. 



Labradorit 

Januar 2008 bearbeitete ich den hier nebenan abgebildeten Labradorit (135x115x55 mm, siehe Abbildungen, auch weiter unten). Ich musste ihn in kurzer Zeit fertigstellen, also musste ich überdurchschnittlich und intensiv an der Arbeit bleiben. Ich erlebte bald seine Ausstrahlung. Mir kam es vor, als würden meine Hände von dieser Strahlkraft richtiggehend durchtränkt. Eine Strahlkraft, die so stark war, dass ich sie fast als unangenehm empfand. So wie die tiefstehende Sonne schmerzhaft blenden kann oder ungeschützte Hände im Winter vor Kälte wehtun, so spürte ich diese Durchdringung ständig. Beim Schleifen halte ich den Stein ja beständig in den Händen. Bei der Arbeit stellte sich dieses Empfinden immer wieder ein, als würden die Hände richtig "imprägniert". 

Anfang 2014 erlebte ich einen weiteren Labradorit. Er war klumpig geschnitten und anschliessend getrommelt worden, aber immer noch gross genug, um ihn zu schleifen. Nach dem Schliff sah er aus wie auf den zwei eingefügten Bildern, er hatte eine Grösse von 50 x 35 x 20 mm, war zu schwer für einen Anhänger, aber ideal für die Hosentasche. Längere Zeit war er mein Begleiter. Wenn ich ihn in der Hosentasche berührte, spürte ich immer eine sanfte Ausstrahlung, aber seine Anwesenheit bewirkte noch etwas anderes. Im Dialog mit diesem Stein und einem weiteren Anhänger rückte die eigene Vorstellungsfähigkeit in den Vordergrund meines Bewusstseins. Gedanken und Fragen kamen auf. Fragen, die um das Thema "Aussen – Innen" kreisten und um die Frage nach der "Umstülpung (das Umkehren) von Formen".

Der Labradorit reflektiert das Licht und verwandelt es in Farben. Auch unser Vorstellungsleben reflektiert. Diese Korrespondenz scheint mir hier charakteristisch zu sein. 



Kalkoolith

Mein Handeln folgt normalerweise Motiven, die in meinem Bewusstsein aufleuchten. Zum Beispiel: "Ich muss einen Brief schreiben", "ich muss unbedingt die Pflanzen im Garten zurückschneiden", "ich muss ein paar Ritzen im Haus abdichten" usw. Sobald die Bedingungen für diese Aufgaben gegeben sind, erledige ich sie. Wenn das Wetter schön ist und ich Zeit habe, mache ich mich an die Gartenarbeit. Abends erinnere ich mich an den Brief, den ich schreiben wollte und führe die Handlung aus usw.

Als ich den Kalkoolith trug und zusätzlich einen Kalkoolith in die Hosentasche steckte, entstand kurz vor der Ausführung jeder Handlung ein" Freiraum". Anstatt die Handlung sofort auszuführen, dachte ich jedes Mal: "Du kannst es jetzt tun, aber du kannst auch etwas anderes tun, wenn es sinnvoller ist." Dieser Freiraum, in dem ich mich ein zweites Mal frei für die Handlung entscheiden konnte, gab mir eine "Weite". Die Kette der Handlungsabfolgen schien durchbrochen und frei bestimmbar.

Ähnlich erging es mir mit Gewohnheiten. Sie haben sich im Laufe der Jahre gebildet. Sie sind ähnlich wie "Ablagerungen". Durch diesen Stein wurden mir solche Gewohnheiten bewusst. Auch hier entstanden "Freiräume": sich dafür zu entscheiden oder sie zu unterlassen.


Chalcedon

Unter Chalcedon verstehe ich den blauen oder bläulichen Stein, den es als "Kugel-Chalcedon" gibt (hier abgebildet) gibt oder den man z.B. auch als schönen durchsichtiger Stein aus der Türkei finden kann. Chalcedon ist heute ein Überbegriff für viele Steinsorten (Karneol oder jaspisartige Steine). Wer den Chalcedon im Stichwortverzeichnis verschiedener Bücher nachschlägt, wird schnell sagen: Ja, das ist der Stein für die Stimmorgane oder auch "Redner-Stein" genannt. Ich habe den Chalcedon nie so erlebt. Auch wenn ich ihn bei Vorträgen getragen habe, war er nicht der "Unterstützer" für diese Tätigkeit. Vielmehr erlebte ich seine Präsenz in der Kommunikation mit Menschen. Das, was zwischenmenschlich spielt, das, was Absichten im Gedankenspiel sind, was man auch die Gesinnung des anderen Menschen nennen kann. Für mich ist es ein Stein geworden, der im sozialen Kontakt seine Bedeutung hat. Michael Gienger hat diesen Aspekt in der "Steinheilkunde" unter "Chalcedon blau, Heilkunde, Spirituell" ganz ähnlich beschrieben, auch seine Bezeichnung "Stein der Diplomatie" (unter "Mental") kann ich voll unterstreichen.

Seelisch wurden mir die menschlichen Beziehungen, die Begegnungen, den Umgang viel bewusster. Der Sozialaspekt ist für mich bei Chalcedon vorherrschend. 


Verdelith (Turmalin)

Diesen Turmalin (Verdelit) hatte ich gerade geschliffen und poliert, als ich ihn jemandem schenkte. Kurze Zeit später bekam ich von der Empfängerin eine Mitteilung. Sie hatte, durch den Kontakt mit diesem Stein, eine "Befreiung" erlebt, eine Loslösung von innerlich belastenden Qualitäten. Kurz darauf zerbrach dieser Stein. Der zerbröckelte Rest war gross genug, um ihn noch einmal zu bearbeiten. Ich gab ihn später wieder zurück. Darauf hörte ich, dass er wieder in kleine Stücke zerbrochen war, die nun in einem Säckchen aufbewahrt wurden. Ein Jahr später fand ich einen zweiten Verdelit und gab auch diesen der Empfängerin. Ich hoffte, dass sich das gleiche Erlebnis wiederholen würde, aber ich hörte nichts mehr davon. Bei dieser Begebenheit ist der situative Kontext zu beachten: Stein - Begegnung - Zeitpunkt der Übergabe - innerer Dialog mit dem Stein. Deutlicher kann ein Individualisierungsvorgang, wie dieser, nicht beschrieben werden.  


Amphibolit

Den linken Steinanhänger hatte ich mir am Morgen um den Hals gehängt. Am Nachmittag hätte ich ihn vergessen, wenn mich nicht ein deutliches Gefühl daran erinnert hätte: Ich erlebte einen Zustand, der sich zusammensetzte, aus: Entspannung, Ausgewogenheit, Wohlempfinden, Relaxed-Sein. Schaut man sich diesen Amphibolit genauer an, so sieht man unzählige Amphibol-Stäbchen (Hornblende), die alle mehr oder weniger in eine Richtung verlaufen (ähnlich wie bei Aktinolith), nur sehr fein und alle sind zerbröckelt. Hält man den Stein ins Licht und bewegt ihn leicht hin und her, so blitzen millimeterkleine Flächen auf und funkeln wie ein Sternenhimmel. Ich hatte diesen Stein nicht fertiggeschliffen, deshalb war seine Oberfläche etwas spröde geblieben und hatte er seinen Strahlcharakter behalten.

Der zweite Amphibolit (von Motta Naluns, GR, rechts oben) brachte dieselben seelischen Qualitäten zum Bewusstsein. Hier notierte ich mir ein Wort: Gelassenheit. Gelassenheit ist eine Tugend und fasst alles, was ich oben umschrieben habe, in einem Wort zusammen. Diesen Stein gab ich auch anderen zum Testen. Erstaunlicherweise wurden mir dieselbe Erlebnisqualitäten geschildert. Ich habe auch andere Amphibolite getragen und getestet, kam aber nicht zu diesen Erlebnisqualitäten. Hier stehe ich vor der Frage: Gibt es Unterschiede in der Zusammensetzung? Warum haben gerade diese beiden Amphibolite dieses Erleben ausgelöst und andere nicht? Auf die Zusammensetzung der Bestandteile eines Steines werde ich später in einem eigenen Thema eingehen. 


Vorbereitender Sichtweise für die folgenden drei Stufen der Beobachtung

Die folgenden Stufen der Beobachtung haben in ihrer Art einen völlig anderen Charakter. Ich möchte deshalb die Sichtweise, die diese Beobachtungen erfordern, erläutern. Vielleicht kann ich sie durch einen Vergleich mit alltäglichen Beobachtungen verdeutlichen.

Ich gehe am Morgen ins Badezimmer und finde meine Haarbürsten natürlich am gewohnten Ort, komme in die Küche und finde den Wasserkocher am üblichen Platz. Ich wäre recht verwirrt, wenn es nicht so wäre. Ich giesse die Zimmerpflanzen. Da kann es sein, dass ich plötzlich eine neue Knospe entdecke oder sehe, wie eine Blüte aufgegangen ist. Bei solchen Beobachtungen habe ich es mit Erscheinungen der physischen oder der vegetativen Welt zu tun. Ich kann diese Beobachtungen wiederholen und werde bei der Wiederholung dieselben Ergebnisse haben.

Anders verhält es sich mit Erscheinungen der Tierwelt. Der Vogel, der soeben noch die Körner vom Futterplatz wegpickte, ist im nächsten Augenblick schon wieder verschwunden. Das Reh, das noch eben draussen gebellt hat, bellt nicht mehr und ist verschwunden. Hier werde ich auf die Umstände aufmerksam, die das Erscheinen des Vogels oder das Bellen des Rehs bewirkt haben, diese verändern sich rasch und ebenso rasch reagiert das Tier.

Aber was geschieht bei der Begegnung mit einem Menschen? Die echte Begegnung ist jedes Mal einzigartig und neu, dass weiss jeder aus eigener Erfahrung. Komme ich zum Beispiel an der Tramhaltestelle mit jemandem ins Gespräch, so ist diese Begegnung als Experiment nicht reproduzierbar. Denn begegne ich die gleiche Person zufällig zwei Tage später, so trägt sie wohl denselben Mantel, hat dieselben Schuhen und dasselbe Gesicht. Aber wir erkennen einander wieder. Die Begrüssung ist schon anders und das Gespräch hat nicht den gleichen Inhalt.

Beobachtungen der fünften, sechsten und siebenten Stufe haben dieselbe Eigentümlichkeit wie der Begegnung. Ich kann sie weder willkürlich herbeiführen noch kann ich diese Beobachtung wiederholen. Sie haben den Charakter der Begegnung und folgen anderen Gesetzen. Sie ereignen sich nur im "Jetzt" und sind nicht willkürlich handhabbar. Da ist mir die Erfahrung der menschlichen Begegnung eine so wertvolle Verständigungshilfe, dass ich die weiteren Beobachtungsstufen lieber Begegnungen als Beobachtungen nennen möchte.  



Meditative Übung

Eine Vorbereitung auf eine "Begegnung" der besonderen Art ist möglich, aber ein Garant für ein entsprechendes Erleben ist sie nicht. Hier stehen uns unsere eigene physische und geistige Konstitution manchmal stark im Wege. Wie diese individuelle Vorbereitung aussieht, beschreibe ich hier anhand eines Bergkristalles.

In der Vorbereitung durchlaufe ich folgendermassen fünf innerseelische Haltungen.  

 

Ruhe, Stille

Die erste seelische Haltung ist "die innere Stille". Alle Empfindungen und alle Gefühle, die sonst ungefragt auf und ab wogen, müssen abklingen und schweigen. Erst dann werden mir meine eigenen Verstrickungen bewusst. So wie Nebel, Wolken und Stürme die Sterne verdecken, so verdecken plötzlich viele Hindernisse die gesuchte Ruhe. Es meldet sich die Eigenbefindlichkeit, es stört die Selbstbespiegelung, das selbstgemachte Gedankenkaruselle dreht weiter wie Mühlesteine oder eigene Vorstellungen verbunden mit Erwartungen melden sich. All das muss zur Ruhe kommen und kommt zur Ruhe, sobald sich die Aufmerksamkeit erhöht und sich ausschliesslich auf das Gegenüber, den Kristall, konzentriert. 


Die Begrüssung

Es folgt "die Begrüssung". Sie besteht darin – ganz wie bei der Begegnung mit einem Menschen – sich ausschliesslich auf die Erscheinung zu konzentrieren und sich nur diesen Eindruck hinzugeben. Wenn dabei meine Hände den Stein berühren oder sie in seiner unmittelbaren Nähe sind, erscheint mir die Strahlkraft des Kristalls gesteigert. Die Beobachtung der Erhöhung der Strahlkraft ist richtig, aber sie geht nicht vom Stein aus. Ich muss mir schon bewusst sein, dass ich im Vergleich zum Bergkristall der "Unbeständige" bin. Durch die Begrüssung habe ich innere Schranken abgebaut und meine Empfänglichkeit dadurch gesteigert. 


Dankbarkeit

Auf die Begrüssung folgt die innere Stimmung der "Dankbarkeit". Ich kann das elementare Gefühl der Dankbarkeit empfinden für alles, was mir dieser Stein offenbart. Eingedenk der langen Entwicklung seiner Gestaltbildung, seiner "Ewigkeit" (in Vergleich zu meiner Kurzlebigkeit). Wenn sich dieses Dank-Gefühl einstellt, so gewahre ich wieder eine Steigerung der Strahlkraft (das heisst: eine Erhöhung meiner Empfänglichkeit). 


Liebe

Nun kann ich mich in Liebe mit dieser Erscheinung verbinden und wenn es mir gelingt, diese Liebe real zu erleben, erhöht sich die Strahlkraft (das heisst: meine Empfänglichkeit) um eine weitere Stufe. 


Segnen

Die letzte Stufe ist die Stufe des Segnens.

Was ist "segnen" oder den "Segen spenden"? Zunächst kommt einem den religiösen Akt in der Kirche in den Sinn und man sagt sich, dazu muss ich ja Pfarrer sein und das bin ich nicht. Aber wenn ich etwas begegne, das für mich erhaben und edel ist, so kann ich dieses "etwas" durchaus als segensreich für die Welt empfinden, ohne dabei an religiöse Handlungen denken zu müssen. Es gibt auch Erfindungen oder Einrichtungen, die durchaus als segensreich gelten können.

Trete ich also einen Stein gegenüber und nehme ich seine Strahlkraft wahr, erlebe ich seine herrliche Erscheinung oder die wunderbare Lichtbrechung, dann bezeichne ich den Gesamteindruck als edel und erhaben. Ist dieses Erleben echt, dann wird es mir nicht schwerfallen, den Stein als segensreich für die Welt zu empfinden und werde ihn auch segnen können (und wiederum bei diesem Akt steigert sich meine Empfänglichkeit). Habe ich diese Stufen durchschritten, können "Begegnungs-Erlebnisse" stattfinden. 

Ich schildere sie für die folgenden drei Stufen.  



Fünfte Stufe, Imagination

Bergkristalle

Vor längerer Zeit war ich in einem riesengrossen Geschäft mit Edelsteinen und Mineralien. Da war in der Verkaufshalle eine Ecke mit lauter Bergkristallen. Diese Ecke war vielleicht 15 x 10 Meter gross. Es standen mächtig grosse und kleinere Bergkristalle in Regalen, deren Oberflächen zum Teil geschliffen waren, auch Stufen und Kugeln waren dabei, alle aus Bergkristall. Die Anordnung war dicht an dicht, für die Steine und den ästhetischen Blick wirkte es etwas lieblos zusammengepfercht.

Ich schaute einige Steine an und zugleich wurde ich mir bewusst, wie ich an diesem Ort regelrecht "durchstrahlt" wurde. Es war wie eine richtige "Leucht-Kraft" und je länger ich mich hier aufhielt, umso mehr steigerte sich die Kraft dieses Lichtes, die als Strahlung durch meinen ganzen Leib hindurchging.

Wenn einem das Sonnlicht bei tiefstehender Sonne blendet, kann man die Augen abschirmen, aber diesem "Licht" konnte ich nichts entgegensetzen. Lange verweilen konnte ich nicht mehr, ich musste mich distanzieren. Auf Abstand nahm die Strahlkraft wieder ab und konnte ich mich auf andere Steine konzentrieren.

Ähnlich erging es mir auf einer Steinmesse in Iona-Rapperswil. Wieder waren es die Bergkristalle, die "leuchteten".

In einer grafischen Skizze habe ich versucht dieses Erleben zu visualisieren. 

                                                 Visualisierungsskizze, Bergkristall: ein weisses, hellstrahlendes Licht


Sechste Stufe der Beobachtung – Wesensbegegnung

Kristall, Sydney (2005)

Im naturhistorischen Museum in Sydney war ein Bergkristall aufgestellt. Er war vielleicht etwa 50 bis 60 cm hoch und hatte einen Durchmesser von ca. 25 cm. Als ich ihn berührte, erlebte ich eine tiefe Schwingung, die wie ein tiefer Ton eines angeschlagenen Gongs klang. Diese Schwingung war in ihm und in mir zugleich und es tönte immerfort. Durch dieses Tönen manifestierte sich mir etwas aus urvergangenen Zeiten. Als plötzlich eine Schulklasse auftauchte und ich die Beobachtung beenden musste.

Besonders beim Erleben dieser Stufe ist, dass die Quelle im Gegenüber und in mir gleichzeitig erlebbar wird und ich mir von einem dritten "Standpunkt" aus diesem Geschehen bewusst werde.

Von diesem Erleben habe ich auch eine Visualisierungs-Skizze gemacht. 

Quarzkristallstufe, Val Fêrret, VS

In den 1980er Jahren verbrachten wir unsere Ferien im Wallis. Auf einer Wanderung im Val Ferret fanden wir eine mächtige, weisse Quarzstufe, die aus unzähligen Kristallflächen bestand. Vielleicht gehörte sie einst zu einem grossen Quarzband, das sich irgendwo oben im Felsen befand. Diese Quarzstufe nahm ich mit nach Hause und wir legten sie in den Garten (Abb. links)

Einmal, zu Weihnachten, habe ich sie geholt. Ich legte sie unter den Weihnachtsbaum neben die Krippe. Da merkte ich, dass ich sie nie begrüsst hatte. Ich hatte mich wohl an ihr erfreut, sie oft angeschaut, aber noch nie begrüsst. Kaum hielt ich meine Hände in ihrer Nähe, spürte ich deutlich den Verlauf klarer Kraftlinien. Manchmal bündelten und verstärkten sie sich. Ich konnte die Richtungen der Kraftlinien deutlich erkennen. Darauf habe ich sie geputzt und geschruppt und sie in meine Werkstatt gelegt. Immer wieder nahm ich mir die Zeit diesen Stein besser kennen zu lernen, aber stattdessen lernte ich mich selbst besser kennen! Denn die Kraftlinien, die ich so deutlich beobachtet hatte, waren nicht immer erkennbar.

Wieso gewahrte ich in gewissen Zeiten nur den kalten, abweisenden Gesteinsbrocken und machte ich in anderen Zeiträumen ganz andere Beobachtungen? Mir wurde bewusst, dass es offensichtlich Zeiträume gab, in denen ich wenig Zugang hatte und Zeiten, in denen ich völlig klar beobachten konnte. Nicht der Stein veränderte sich, der war immer der Gleiche, aber ich war rhythmisch wechselnden Zuständen meiner eigenen Organisation unterworfen.

Als ich mich eines Abends wieder mit diesem Stein beschäftigte und meditativ alle inneren Haltungen durchging, erlebte ich eine ungewöhnliche Kraft. Der Kraftstrom ging vom Stein in die Hände, durchlief die Arme und breitete sich über die Schultern und Rücken aus. Ich bekam überall eine Gänsehaut und dann erstrahlte vor meinem inneren Blick ein helles, weisses Licht. Dieses Licht wuchs, besass eine unvermittelte Aufrechte und wurde zu einer strahlenden Säule, die transparent schien und an deren Fuss ich in Ehrfurcht weilte. Ich war innerlich tief beeindruckt. Lange hat mich dieses Erlebnis begleitet, aber in dieser Eindeutigkeit wiederholte sich diese Begegnung nicht. 

(eine Visualisierungsskizze dieses Erlebnisses neben an)


Turmalinscheibe

Ich war bei Giuseppe Vogler in Meggen (siehe 1.4.3) zu Besuch, als er mich für kurze Zeit in seiner Stein-Ausstellung zurückliess. Es gab viele Steine zu bewundern, doch mein Blick blieb haften an einer Scheibe, die etwas verdunkelt im Regal stand. Kaum konzentrierte ich mich auf diese Scheibe, gewahrte ich im Innern meiner Brust ein deutliches Bild. Dieses innere Bild und die Scheibe im Regal waren eins und nicht räumlich getrennt. Das Bild machte einen gewaltigen Eindruck auf mich. Da habe ich den Stein äusserlich genauer angeschaut. Das innere Erleben schwand zugleich. Aber sobald ich mich wieder konzentrierte, war das Bild wieder da. "Aussen" und "Innen" verschmolzen, "Objekt" und "Subjekt" wurden eins, während ich selbst als "Dritter" den Vorgang beobachtete.

Solche Erlebnisse sind für mich "Wesensbegegnungen". Ich war keineswegs "entrückt". Als derBesitzer der Steine eintrat, erzählte ich ihm von meinem Erleben. Ich musste das Erleben als "Tiefreligiös" bezeichnen. Da nahm er die Scheibe, ging ans Fenster und liess das Licht durch die Scheibe fallen. Jetzt wurde sichtbar was im Regal nicht zu erkennen war, aber auf dem beigefügten Foto schon. Wenn das Licht durch die Scheibe fällt, wird die dreieckige Textur besonders deutlich sichtbar. 

Später habe ich dieses Erlebnis auch in einer Zeichnung visualisiert (Abb. links)

Unabhängig von Raum und Zeit, also unabhängig von der räumlichen Distanz zum Objekt, kann ich dieses Erleben immer wieder aktualisieren. Es ist keine Erinnerung, es bleibt ein Vorgang, den ich aktiv vollziehen muss. Wenn ich genau bin, muss ich sagen: Innen und Aussen, Erlebniswelt und Objektwelt (die beiden, die sonst immer getrennt sind) vereinen sich auf einer anderen Ebene. Ich bin nur noch der Dritte stille Beobachter dieses Vorgangs, der mich selbst in ungetrennter Vereinigung mit dem Wesen dieses Steines gewahr wird.


Die siebte Stufe - Intuition

Die höchste Stufe des Stein-Erlebens spielte sich ab in der künstlerischen Gestaltung. 


Allalin-Gabbro, Gestaltungsvorgang

Anhand der Gestaltung eines Allalin-Gabbros zeige ich Phasen, die in der Gestalt-Entwicklung ablaufen.

Der Rohling ist ein gestaltloser Brocken mit Rissen und einer rauen Oberfläche.

Der erste Arbeitsgang kann mit Hammer und Meissel auf einem "Dreibeiner" gemacht werden. Ich muss eine erste Schicht der Oberfläche rund um den Brocken wegnehmen, denn ich muss sicher sein, ob der Kern dieses Brocken unversehrt ist. Gibt es Brüche, so muss ich die losen Teile entfernen. 

Ich arbeite so lange, bis ich eine stabile Grundmasse habe. Ist der Kern sichtbar, erst dann fängt der Gestaltungsvorgang an. Ich suche die richtigen Beziehungen zum Umraum und bestimme die Standfläche

Nun muss ich Ordnung in die Masse hineinbringen. Ich untersuche die Aufrechte und frage mich wie die Flächen die Gesamtmasse umschliessen sollen. Welche Flächen stehen in Bezug zum Umraum, welche umschliessen den Innenraum?

Jetzt muss ich so lange arbeiten, bis die Form ihre Einheitlichkeit zeigt. Ich werde "Sklave" und versuche den Ausdruck zu steigern, muss beständig die Verhältnisse prüfen, muss die Spannungen erhöhen.

Langsam erscheint jetzt die Textur.

Die Form verlangt auch eine Anpassung an der Textur.

Irgendwann, vielleicht nach 40 – 45 Stunden, denn dieser Brocken war gross und schwer, kommt die freudige "Befreiung": der Gestaltungsprozess ist abgeschlossen.

Arbeitend mit dem feineren Korn muss ich nun hinhören auf den Zusammenklang der Flächen und Kanten. Ganz ähnlich wie beim Stimmen der Saiten eines Instrumentes. Ist der Zusammenklang erreicht, erleben meine Hände eine besondere Ausstrahlung des Steines. Diese steigert sich und durchrieselt dann die ganze Form.

Ich muss nur noch den Stein hochpolieren. Die Form ist fertig. Immer ist sie ein Unikat.

Ich sagte etwa 40 bis 45 Stunden dauert die Arbeit bei grösseren Steinen. Beim Arbeiten ist aber das Zeitbewusstsein ein völlig anderes. Weil ich mich auf die Gestaltungskräfte konzentriere, weil ich mit grosser Aufmerksamkeit die Steigerung, Abschwächung, Spannung, Bewegung usw. verfolge, lebe ich in ein anderes Zeitgefüge. Jeder Bildhauer wird dieses besondere Zeiterleben bestätigen.

Somit will ich als letzte Schilderung eine bildhauerische Arbeit hinzufügen.

Lebensquelle, Gips, 1975

Lebensquelle

Ich erlebte diese Beobachtungsstufe in einer doppelten Art bei der Arbeit diesem Relief (siehe Abbildung nebenan, Grösse ca. 1 x 1 Meter). Da kam es mir vor, als wenn sich die Wand auflöste. Ich gestaltete zwar die Oberfläche, doch was sich im Raum vor dem Relief bildete, konnte ich weit verfolgen in die Wand hinein. Ein Bewegen und Wogen von Formkräften lebten in diesem Relief, die ich später "Lebensquelle" nannte.

In diesem Bewusstsein vor dem Relief stehend, erschien mir in einiger Distanz mein Grossvater. Er schaute mich an, sprach nicht. Sein Blick wirkte frei und liebevoll. Abends erfuhr ich, dass er an diesem Nachmittag gestorben war und ich verstand den Gruss, den er mir nachmittags brachte.

So eröffnet das Schaffen in der Kunst neue Begegnungsebenen, die einem sonst im Alltag verschlossen bleiben.

Die letzte Stufe, Intuition, stelle ich gleich mit dem Erleben eines rein geistigen Inhaltes. Die Schöpfungen von Komponisten, Skulpturen von Bildhauern, kurz Kunstschöpfungen generell, werden von dieser Stufe aus initiiert. Aber auch Werke der Philosophen und Naturforscher können diesen Ursprung haben.

Was auf dieser Stufe erfasst wird, ist nicht dasjenige, was mir mal so eben in den Sinn kommt, es ist weder Brainstorming, noch Bauchgefühl, es verlangt mehr geistige Gegenwart. 


Schlussbemerkung und Ausblick

Nach diesen Ausführungen werden Sie, liebe Leserin und Leser, verstehen, dass diese Betrachtung nicht abschliessend, sondern ein Anfang ist.

Die Einteilung, die ich vorgenommen habe, war lediglich eine Differenzierung und eine Ordnung des Forschungsgebiet der Beobachtungen und Begegnungen. Sie kann nicht als abschliessendes Schema gelten. Vielmehr handelt es sich um Blickrichtungen, die noch weiter untersucht, überprüft und ergänzt werden können.

Als Ergebnis dieser Schilderungen müssen wir festhalten, dass die «Beobachtung der Wirkung» von der persönlichen Konstitution, der körperlichen und geistigen Verfassung und den tagesabhängigen Gegebenheiten (wie z.B. individuelle Rhythmen) bedingt ist. Es handelt sich um eine individuelle seelische Beobachtung der Eigenbefindlichkeit, der seelischen Aspekte und der höheren Begegnungen, bei der uns ein entsprechender Stein unterstützt.

Da mir als Holländer das Feingefühl für gewisse Elemente der deutschen Sprache fehlt, sind gewiss Fehler eingeschlichen, doch bin ich überzeugt, dass der Inhalt meiner Darstellung trotzdem verstanden werden kann.



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2023-07-28, Hans van der Heide, Breitenmattstrasse 94, CH-8635 Dürnten, E-Mail: hansvanderheide@gmx.net